Implantation in das Gehirn

Elon Musk hat durch seine Firma Neuralink ein Gehirnimplantat entwickeln lassen, dass Hirnströme direkt auf ein Smartphone schicken kann. Wer damit leben möchte, muss sich einem neuroinvasiven Eingriff unterziehen.

Wie erfolgt die Transplantation?

Der Neurochirurg sägt ein Loch in den Schädel, in welches der Neuralink eingesetzt wird. Er ist etwa drei 1-Euro-Münzen hoch und hat auch ungefähr ihren Durchmesser. Von diesem Neuralink führen dann 1.024 winzige Drähte (Durchmesser von 5 µm) ins Gehirn. Die Verdrahtung übernimmt ein Miniroboter. Nach der Implantation nehmen die Drähte die Signale des Hirngewebes auf und übertragen sie auf ein Smartphone bzw. gleich in eine Cloud. Diese Signale können für die Ansteuerung von Prothesen oder auch die Überbrückung von fehlenden Nervenverbindungen im Rückenmark genutzt werden. Beides würde bei Querschnittslähmungen helfen. Darüber hinaus sollen die Signale Herzinfarkte oder Schlaganfälle und neurologische Ausfälle prognostizieren können sowie Blindheit und Taubheit heilen, wenn diese neurologisch verursacht werden. Der Eingriff hört sich zunächst dramatisch an, allerdings setzen Neurochirurgen schon länger Elektroden zur Hirnstimulation ein. Unter anderem bei schwerem Parkinson verpflanzt man Chips direkt ins Gehirn. Elon Musks will mit der Firma Neuralink die schon vorliegende neurochirurgische Expertise nutzen. Seine Entwicklung fokussiert auf den rein digitalen Teil der Anwendung: Der neue Neuralink soll deutlich mehr Elektroden als bislang verwendete Chips mit höherer Empfindlichkeit und mehr Flexibilität zum Einsatz bringen. Die Transplantation will Musk vereinfachen, doch das ist der rein medizinische Part des Neuralinks. Wichtig ist die Flexibilität der Drähte: Sie müssen auch Bewegungen des Gehirns ausgleichen. Dieses schwimmt im Schädel. Bei diesen Bewegungen dürfen die Drähte keine Schäden im Gewebe verursachen. Die Implantation eines Neuralinks soll ausgesprochen sanft erfolgen. Das liegt an der verbesserten Technik und den deutlich dünneren Drähten gegenüber Vorgängermodellen. So war noch der 2006 vorgestellte Hirnchip Utah Array mit 100 Elektroden ausgestattet, deren Durchmesser 80 mµ betrug. Das ist in etwa die Dicke eines menschlichen Haars. Der Chip wurde ins Hirngewebe eingedrückt, wofür man eine Art von Luftdruckhammer verwendete. Im Gegensatz dazu implantiert der Miniroboter die Neuralinkelektroden gezielter und kontrollierter. Sie müssen genau an den richtigen Stellen wenige Millimeter unter der Schädeldecke platziert werden, damit sie die richtigen Signale empfangen.

Bisheriger medizinischer Stand

Bisher wurde der Neuralink nur Schweinen implantiert. Die Erfolge sind beeindruckend, das Testschwein Gertrud überzeugte mit überaus hilfreichen und gut deutbaren Signalen. Ob es bei der Transplantation Schmerzen empfand, konnte es wohl nicht kommunizieren, aber es sieht einfach nicht danach aus. Das Schwein ist sehr fröhlich, wühlt mit seinem Rüssel im Boden, wie es Schweine tun, lässt sich sogar aufs Laufband schicken und überträgt dabei permanent seine Signale an den Computer. Es muss die Prozedur der Schädelöffnung auch nie wieder über sich ergehen lassen: Das Implantat hat zwar eine Batterie, doch diese wird induktiv und damit berührungsfrei von außen aufgeladen. Ein ganz anderes Problem ergibt sich derzeit noch durch die Kosten sowohl des Neuralinks als auch der Transplantation. Beides ist bislang so teuer, dass sich Krankenkassen wohl kaum an einem entsprechenden medizinischen Eingriff beteiligen werden. Doch Elon Musk hofft, diese Kosten auf eine lediglich vierstellige Größenordnung senken zu können. Der Eingriff wäre dann etwa so teuer wie Augenlasern, und das leisten sich Menschen sogar privat, wenn es ihre Kasse nicht bezahlen sollte. Gesetzliche Kassen in Deutschland erstatten solche Kosten manchmal teilweise, private Kassen mit dem richtigen Tarif vielleicht sogar vollständig. Das Thema der praktischen Anwendung und damit auch der Finanzierung des Neuralinks könnte alsbald auf der Agenda stehen: Die FDA (US-Regulierungsbehörde für die Zulassung von Medikamenten und Medizintechnik) hat erstens dem Neuralink eine Erlaubnis für Versuche am Menschen als Breakthrough Device (nur für schwerstkranke Patienten) erteilt und zweitens den Zulassungsprozess eingeleitet. Wenn dieser einmal abgeschlossen ist, produziert das Unternehmen den Neuralink sicherlich in großen Stückzahlen und damit praxistauglich.

Funkionsweise des Neuralinks

Der Neuralink digitalisiert elektrische Signale von Neuronen im Gehirn mit einer Frequenz von 20 kHz. Das ist schnell genug, um Spikes zu detektieren, die nur etwa eine Millisekunde andauern. Deren Form lässt sich dann charakterisieren und in ein Signal übersetzen. Nach einer Komprimierung erfolgt die Auswertung der Signale. Die Komprimierung macht aus 20 MBit/s Rohdaten etwa 100 kBit/s verwertbare Daten. Die derzeitige Datenübertragung erfolgt mit Low Power Bluetooth, ein Smartphone kann die Daten daher sehr gut aufnehmen. Die Entwicklung soll darauf hinauslaufen, den Datenstrom zu vervielfachen: Künftige Geräte könnten mehrere MBit/s senden, wofür unter Umständen noch mehr Elektroden nötig sind. Die Datenübertragung erfolgt verschlüsselt. Die eingesetzten Elektroden können jetzt schon Daten in beide Richtungen übertragen, doch bislang erfolgt nur die Verarbeitung des Outputs. Technisch bestünde schon jetzt die Möglichkeit, in ~7 µs elektrische Signale mit wenigen µV Stärke auch ins Gehirn zu schicken, das damit eine Stimulanz zum Beispiel durch Daten eines Mikrofons oder einer Kamera erhielte. Diese Geräte könnten Ohren und Augen von Tauben und Blinden ersetzen. Ein weiterer Plan besteht darin, die Signale aus dem Bewegungszentrum (Motorcortex) aufzunehmen, an Nerven des Rückenmarks zu leiten und damit neurologische Ausfälle durch Rückenmarksverletzungen zu kompensieren.

Derzeitiger technischer Fokus

Derzeit liegt der technische Fokus auf der Weiterentwicklung der Elektroden. Die sollen noch dünner und dabei gleichzeitig noch haltbarer werden. Elektroden im menschlichen Körper sind stets durch Korrosion gefährdet, sie müssen daher aus sehr speziellem Material bestehen. Das Ziel besteht darin, dass ein Implantate mehrere Jahrzehnte voll funktionsfähig im Körper verbleiben kann. Ein Weg könnte darin bestehen, die Elektroden mit Siliziumcarbid zu beschichten, doch es gibt auch andere Überlegungen. Aussichtslos sind diese nicht, weil es die Hirnstimulation mit Elektroden schon eine Weile gibt. Doch das Vorhaben ist sehr anspruchsvoll.

Vervielfachung des Personals bei Neuralink

Wegen der Herkulesaufgabe will die Firma Neuralink nun ihr Personal von derzeit rund 100 auf etwa 10.000 Beschäftigte aufstocken. Das Recruiting war das eigentliche Ziel der Präsentation am 29.08.20. Neuralink.com stellt auf seiner Webseite derzeit nur einen Videoclip und sein Job-Board ein, auf dem die vielen zu besetzenden Stellen ausgeschrieben sind. Die Firma braucht dringend Hard- und Softwareentwickler. Diese müssen keine medizinischen Kenntnisse mitbringen.

Ein wenig Zukunftsmusik

Elon Musk, der Visionär, will eigentlich den menschlichen Körper technisch in Richtung Cyborg erweitern, er will vielleicht mit Gedanken ein Auto, das Smart Home oder Computerspiele steuern. Denkbar ist das theoretisch, bislang wirkt es wie Zukunftsmusik. Auch kann es beim Einsatz des Neuralinks im Gehirn über Jahrzehnte zu Komplikationen kommen, die heute noch niemand kennen kann. Nicht zuletzt könnten ethische Fragen auftreten: Sind die einem menschlichen Gehirn entnommenen Daten in einer Cloud wirklich sicher? Wer hat über sie die Verfügungsgewalt? Kann man ganze Gehirne digital abspeichern, möglicherweise über das Lebensende eines Menschen hinaus? Leben dann diese Menschen digital weiter? Darf sie jemand abschalten? Solche Fragen sind sehr kritisch, wie das folgende Beispiel zeigt:

Gehirn in der Cloud um den Preis des Lebens

Das US-Start-up Netcome hat einen gangbaren Weg gefunden, Gehirne mit sämtlichen Nervenverbindungen in die Cloud zu laden. Wer sich dafür entscheidet, überlebt allerdings die nötige Prozedur nicht. Die Person würde indes digital weiterleben. Denkbar wäre so ein Vorhaben für Personen, die genau wissen, dass sie in einigen Stunden sterben werden. Da es heute noch keine digitale Möglichkeit gibt, die 100 Billionen Nervenverbindungen eines menschlichen Gehirns abzuspeichern, schlägt Netcome vor, zunächst die Gehirne von dazu bereiten Menschen speziell zu konservieren. Wenn die Technik einmal so weit ist, kann dann der Inhalt in die Cloud geladen werden. Der betreffende Mensch wäre digital unsterblich, allerdings nach derzeitigem technischen Stand nicht handlungsfähig, weil er zunächst keinen Körper hätte. Doch die Ansteuerung eines Androiden mit den eigenen Hirnsignalen dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, wenn wir die Forschung bei Neuralink betrachten. Das bedeutet nun zweierlei:

  • #1: Es dürfte Menschen geben, die mit dem absehbaren Tod vor Augen zu dem Verfahren bereit sind.
  • #2: Der Rechtsstatus ihres rein digitalen Lebens müsste ihnen zugesichert werden. Sonst besteht die Gefahr, dass jemand ihr Gehirn in der Cloud löscht.

Das sind nur die ersten Fragen, die sich stellen. Eine weitere Frage wäre, ob die betreffenden Personen das Recht hätten, sich irgendwann einen neuen menschlichen Körper (eines Unfallopfers) zu suchen. Menschen mit einem großen Vermögen, das ihnen auch nach ihrem physischen Tod weiter gehören müsste, würden das ganz sicher anstreben. Damit entstünde eine wahrhaft unsterbliche Rasse.